Haftung von Prokuristen für Steuerschulden der GmbH – VwGH sorgt für Aufsehen
Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit einer aktuellen Entscheidung (25. 6. 2025, Ro 2023/13/0020) klargestellt, dass auch Prokuristen persönlich für Steuerschulden einer Gesellschaft haften können. Damit erweitert sich der Kreis der möglichen Haftungsadressaten über Geschäftsführer und Vorstände hinaus.
Ausgangslage
Nach § 9 Abs 1 BAO haften in den §§ 80 ff. BAO bezeichneten Vertretern neben der Gesellschaft insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Bisher wurde diese Bestimmung vor allem auf gesetzliche Vertreter wie Geschäftsführer oder Vorstände angewendet. Sie sind zur Verwaltung der finanziellen Mittel berufen und haben sicherzustellen, dass Steuerverbindlichkeiten rechtzeitig abgeführt werden. Prokuristen galten hingegen bislang als gewillkürte Vertreter, für die eine Haftung nach § 9 Abs 1 BAO nicht angenommen wurde. Ihre persönliche Verantwortung beschränkte sich bisher auf strafrechtliche Tatbestände (z.B. betrügerische Krida) oder – für Dienstnehmer nach DHG sehr eingeschränkt – auf zivilrechtliche Schadenersatzpflichten.
Die Entscheidung des VwGH
In dem nun entschiedenen Fall wurde ein Prokurist einer insolventen GmbH vom Finanzamt zur Haftung für nicht entrichtete Umsatz-, Lohn- und Körperschaftsteuer der Gesellschaft herangezogen. Der Prokurist war formell bei der Muttergesellschaft angestellt, führte aber für die GmbH den Zahlungsverkehr, bereitete Bilanzen, G & V-Rechnungen, Cashflows und Auftragsdaten vor und war im Kontakt mit dem Finanzamt. Die Entscheidung über Zahlungen trafen jedoch die Geschäftsführer, die auf Weisung der Eigentümer bewusst vorrangig konzerninterne Verpflichtungen bedienten.
Der VwGH stellte klar, dass auch Prokuristen als Vertreter im Sinne der §§ 80 BAO gelten können, wenn sie mit steuerlichen Agenden betraut sind oder diese faktisch ausüben. Die Haftungsnorm des § 9 Abs 1 BAO verweise ausdrücklich auf die Vertreter gemäß §§ 80 ff BAO und erfasse damit auch bevollmächtigte (bzw. verfügungsberechtigte) Vertreter einer Gesellschaft. Insbesondere die Gesetzesmaterialien zur BAO zeigen laut VwGH, dass der Gesetzgeber die frühere Rechtslage (§ 109 AO 1931, § 108 AO 1919) übernehmen wollte, wonach auch Bevollmächtigte persönlich bei schuldhaften Pflichtverletzungen haften konnten.
Verfahren und Haftungsfolgen
Im Haftungsverfahren nach der BAO trifft den in Anspruch genommenen Vertreter eine sog. „qualifizierte Mitwirkungspflicht“: Er muss beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft („Freibeweis“). Gelingt dieser Nachweis nicht, etwa weil keine ausreichende Dokumentation vorhanden ist, wird schuldhaftes Verhalten vermutet. Der Prokurist haftet dann – gegebenenfalls zusammen mit anderen Haftungsträgern - persönlich und gegebenenfalls bis zur Höhe der gesamten aushaftenden Abgabenschuld, sofern er nicht nachweisen kann, dass das Finanzamt gegenüber den anderen Gläubigern nicht benachteiligt bzw. zumindest gleichbehandelt wurde. Potentiell existenzgefährdend ist, dass die Haftung nach § 9 BAO grundsätzlich der Höhe nach unbegrenzt ist - der Prokurist haftet persönlich mit seinem gesamten Vermögen.
Im entschiedenen Fall konnte der Prokurist den Freibeweis nicht erbringen. Das Gericht betonte, dass er die Weisungen der Geschäftsführer – soweit sie gegen steuerliche Pflichten verletzten – nicht befolgen durfte, sondern gegebenenfalls seine Funktion hätte zurücklegen müssen, um sich zu entlasten.
VwGH-Erkenntnis entlastet nicht Geschäftsführer
Die Entscheidung des VwGH zur potentiellen Haftung des Prokuristen ändert nichts an der Verantwortung der gesetzlichen Vertreter (Geschäftsführer bzw. Vorstand) für die ordnungsgemäße Abfuhr der Steuer der Gesellschaft. Auch wenn dieser steuerrechtliche Angelegenheiten an einen Prokuristen übertragen hat, trifft ihn eine laufende Überwachungspflicht, wodurch Steuerrückstände nicht verborgen bleiben dürfen. Damit wird der Kreis der Haftungsadressaten erweitert und nicht verlagert.
Empfehlungen für die Praxis
- Prokuristen sollten darauf achten, dass ihre Zuständigkeiten klar abgegrenzt sind und sollten sämtliche Handlungen im Zusammenhang mit steuerlichen Verpflichtungen sorgfältig dokumentieren.
- Kommen Prokuristen oder andere Bevollmächtigte aufgrund von Weisungen in Konflikt mit ihren abgabenrechtlichen Pflichten, sollten sie unverzüglich handeln – bis hin zur Zurücklegung der Prokura oder Vollmacht, um ihre persönliche Haftung zu vermeiden.
- Geschäftsführer sollten in internen Richtlinien und Zeichnungsbefugnissen genau festhalten, wer für die steuerliche Compliance verantwortlich ist und entsprechende Kontrollen vorsehen.
- Unternehmen sollten darauf achten, dass der Versicherungsschutz einer D&O-Polizze ausdrücklich auch Prokuristen einschließt.

